Liebe trotz Beziehungsangst
Kann das funktionieren?
“Bist du dir eigentlich bewusst, dass du Bindungsangst hast?”, fragte ich ihn vorsichtig. “Ja”, antwortete er, ohne zu zögern. “Und willst du nicht dagegen etwas … unternehmen?”. Seine Antwort war nach drei Jahren hin und her ein Schlag ins Gesicht: “Nö”. Drei Jahre meines Lebens verplempert. Wofür?
In diesem Artikel erfährst Du:
- Meine Beziehung mit einem Bindungsängstler
- Die typischen Symptome von Beziehungsangst
- Auswege aus der Beziehungsangst
- Ursachen von Beziehungsangst
- Verhaltensweisen von Beziehungsängstlern
- Professionelle Hilfe
Inhaltsverzeichnis
Meine Beziehung mit einem Beziehungsängstler
Über drei Jahre hatte ich in einer On-Off-Beziehung mit einem Mann ausgeharrt, der mich immer wieder an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte. Er war der liebste Kerl der Welt, den ich wirklich liebte, versteckte sich aber hinter dicken Mauern, an denen ich immer wieder abprallte.
Ich mag die Begriffe und Modediagnosen “Bindungsängstler” und “Narzissten” eigentlich nicht, da diese inflationär genutzt werden und wild als Etikett jedem Mann und jeder Frau aufgepappt werden, mit denen es einfach mal nicht auf einem Date oder in einer Beziehung läuft. Dass ich es in meiner letzten Beziehung jedoch mit einem waschechten Beziehungsängstler zu tun hatte, wurde mir sehr rasch klar.
Typische Symptome von Beziehungsangst
Er hatte ein krasses Problem mit Nähe, sowohl körperlich als auch seelisch, was zu einem Zick-Zack-Kurs zwischen Nähe und Distanz führte. Beziehung ja, aber bitte weit weg. Unsere eingebaute Distanz – da ich in Hamburg wohnte und er in Wien lebte – kam ihm natürlich gelegen. Wenn ich bei ihm war, schien er sich zu freuen. Alle meine Lieblingsartikel aus dem Supermarkt standen parat, nicht so allerdings mein persönlicher Krimskrams. Sobald ich weg war, würde er jegliche Spuren von mir in einen Karton verstauen und auf dem Schrank lagern. Als wenn mein Shampoo ihn stressen würde. Da ich die Möglichkeit hatte, im Homeoffice zu arbeiten, im Gegensatz zu ihm, war ich es, die pendeln musste – was ich gerne tat. Ich bat ihn um eine Schublade, um nicht jeden Monat mit einem schweren Koffer zwischen Hamburg und Wien reisen zu müssen, das war ihm nicht genehm. Er fand das gemütlichste Kissen ever für mich, das allerdings in einem Set mit einer überdimensionalen Bettdecke kam, die zwischen uns thronte. Auch im Bett mauerte er. Sex, Küsse, Kuscheln war ihm zuviel Nähe. Wenn wir auf der Straße Bekanntschaften von ihm trafen, wurde ich nach drei Jahren noch immer als “Eine Freundin aus Hamburg” vorgestellt. Und seinen Schlüssel forderte er nach jedem Besuch wieder ein. Ich könnte ihn ja verlieren. Ah ja.
Mit einem beziehungsunfähigen Mann lässt sich schlicht und ergreifend keine Beziehung führen, die ihren Namen verdient. Warum ich das mitgemacht habe? Ich habe den Mann geliebt. Und entgegen aller Proteste, die jeder mir nun entgegenbringen würde, weiß ich, dass er mich auf seine Art liebte, sich und uns jedoch im Weg herumstand. Die obige Liste hört sich krass an, ich weiß, ich könnte jedoch eine Million Gründe benennen, warum ich bereit war, darauf zu warten, dass dieser Mann sich öffnet. Bis er mir gegenüber saß und mir klar wurde, dass er sich bewusst war, dass er Beziehungsangst hat – und scheinbar keinerlei Probleme damit hatte. Ich liebte ihn, aber es gibt nur eine einzige Person, die ultimativ für mein Lebensglück zuständig ist und das bin ich selbst. Ich könnte weiter in den diffusen Zwischenräumen zwischen Liebe, Beziehung, Freundschaft und Bullshit ausharren, oder ich konnte mein Schicksal in die Hand nehmen.
Wollte ich Partnerin oder Therapeutin sein? Ich war alt genug, um zu wissen, dass ich für mein Glück selbst verantwortlich bin.
Ingrid
Was ist Bindungsangst?
Bindungsangst ist eine tiefgreifende Störung. Personen mit Bindungsangst fürchten oft, ihre Unabhängigkeit zu verlieren, verletzt zu werden, oder sie empfinden die Nähe zu anderen als erdrückend. Diese Ängste entstehen oftmals durch vorangegangene Traumata und nicht selten wurzelt diese Angst in den Erfahrungen der frühen Kindheit: Personen mit Bindungsangst haben oft nicht genügend Geborgenheit und Sicherheit in ihrer Kindheit erlebt. Als Schutzmechanismus vor erneuter Ablehnung neigen sie dazu, enge Beziehungen und sich selbst zu sabotieren, besonders nach Momenten, die besonders schön und intensiv waren oder wenn eine Beziehung sich verfestigen soll (zusammenziehen, Heirat). Kurzum, eine beziehungsängstliche Person fürchtet sich verletzt zu werden. Sie fühlt sich dieser Angst ausgeliefert. Und durch Rückzug, Sabotage bis hin zum Beenden einer Beziehung versucht ein Bindungsängstler die Oberhand zu behalten und sich zu schützen. Aus Angst davor, dass die Beziehung vom Gegenüber beendet werden könnte, beendet er sie lieber selbst.
Auswege aus der Bindungsangst
Warum er geht, obwohl er Gefühle hat? Hast Du mal versucht, jemanden mit Höhenangst auf ein Hochhaus zu stellen? Oder jemanden mit Flugangst in den Flieger zu setzen? Bei einem Menschen mit Bindungsangst kann man mit logischen Erklärungen nicht gegen angehen.
Aus meiner Erfahrung gibt es nur zwei Wege aus der Beziehungsangst. Der Königsweg ist, dass die bindungsängstliche Person nach Selbstreflexion Hilfe sucht und annimmt (am besten therapeutisch). Ein Bindungsängstler muss seinen Weg gehen, nur er kann ihn beschreiten, nur er allein muss bereit sein, die Dinge ändern, Selbstverantwortung für sich und sein Gefühlsleben übernehmen zu wollen und seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Oder eben man beendet die Beziehung.
Wir haben nun ein tiefgreifendes Verständnis davon gewonnen, was Bindungsangst ist, welche Ursachen sie hat und welche Wege es gibt, damit umzugehen. Letztendlich stehen wir vor einer klaren Entscheidung: Akzeptieren wir diese Beziehung mit all ihren Facetten und Herausforderungen, oder müssen wir die schwerwiegende Entscheidung treffen, uns davon zu lösen.
Fazit
In der Reflexion über meine eigene Erfahrung mit meinem Ex-Partner komme ich zu dem Schluss, dass, sollten wir wirklich füreinander bestimmt sein, unsere Wege sich erneut kreuzen werden – irgendwo, irgendwann. Und vielleicht hat er bis dahin an sich gearbeitet. Ich bin mir bewusst, dass keine Taktik, keine Methode und nichts, was in meiner Macht steht, die Gefühle dieser Person ändern kann. Das muss er selbst wollen. Meine Kraft liegt darin, das Leben so anzunehmen, wie es kommt, und zu akzeptieren, dass manche Dinge einfach nicht in unseren Händen liegen.